Donnerstag, 9. Juli 2009

Gegenwart
oder
Wann kommt die Liebe?

"Du siehst gut aus", ich konnte meine Augen nicht von ihr abwenden, wie sie da so stand am Eingang ihres Bauwagens, den sie gerade innen neu strich, mit T-Shirt und Sommerhose, braungebrannt, die Malerbürste in der einen Hand, den Farbtopf in der anderen, kleine lila Sprenkel an Händen und Armen, Kleckse und Spritzer auf Hemd, Hose und Schuhe, und vom Schweiß abwischen lila Streifen auf Stirn und Haaren.

"Ja, das wollte ich auch gerade sagen, richtig strahlend und zufrieden, gehts dir gut?" Sie lachte, weil ich nur nickte und weiterhin dastand und sie anstarrte. Ihre Augen waren noch eine Spur heller und wässriger als sonst und standen damit in Kontrast zur Haut. Dünn war sie, fast mager, das war mir bisher nie so aufgefallen. "Ich hab vorhin grad eine alte Musikkassette gefunden", im Hintergrund war Musik zu hören, die ich nicht genau einordnen konnte, "unsere ersten Lieder". Ihre Augen wurden noch ein bisschen heller, leuchteten, und ihr Blick verlor sich irgendwo hinter mir.

Schnitt - wir sehen Brigitte im Bauwagen weiterstreichen, Jutta sitzt davor und schaut ihr zu. Im Hintergrund kommt ein junger Mann durch den Garten, ebenfalls sommerlich gekleidet mit Latzhose und T-Shirt. Er setzt sich in einiger Entferung auf eine Bank, holt seinen Tabak raus und dreht sich eine. Zu ihm hinüber wehen die Klänge der Musik, sein Blick wird hell, er raucht.

Ich hatte Brigitte länger nicht gesehen. Vor kurzem hatte ich die Einladung zur Eröffnung ihrer neuen Ausstellung erhalten, und da ich gerade in der Nähe war, wollte ich mich schnell dafür bedanken und zusagen. Wir kannten uns inzwischen fast ein Jahr, sie war mir sofort vertraut, vielleicht wie eine Schwester. Heute jedoch kam sie mir vor wie eine unbekannte Sagengestalt, alles an ihr war neu, faszinierend, verlockend.

"Wir haben den Wagen erst vor 2 Wochen bekommen und seitdem arbeiten wir rund um die Uhr dran, ist ein ganz schönes Stück Arbeit, so ein Uraltding wieder schick zu machen." Sie lachte, ich hatte nur die Hälfte mitbekommen. Mir war schwindlig, die Zeit schien sich endlos zu dehnen. Aus dem Augenwinkel sah ich ihren Freund, ich musste los.

Schnitt - wir sehen Jutta auf ihrem Rad die Landstraße entlangfahren, sie tritt kraftvoll in die Pedale, den Blick entschlossen geradeaus. Was sie denkt wissen wir nicht, wie sie sich fühlt lässt sich ahnen. Allmählich werden ihre Bewegungen ruhiger, langsamer, die Anspannung weicht, sie schaut sich um, biegt in einen schmalen Seitenpfad und stellt ihr Rad ans Gatter einer Weide.

Wenn man so schlagartig von der Präsenz eines Menschen getroffen wird, ist die Zukunft ein Kinderspiel, Liebe, Beziehung, Partnerschaft, Sexualität scheinen gar kein Problem mehr zu sein. Brigitte und ich sind ein Paar, leben gemütlich zusammen in ihrem neuen Bauwagen und genießen den Sommer. Natürlich verlässt sie ihren Freund, und ich überwinde meine Scheu vor einer festen Partnerschaft. Aber Brigitte war in der Vergangenheit, "unsere ersten Lieder", ihr entfernter Blick, das Versonnene darin, wie kann es da eine Gegenwart geben?

Schnitt - wir sehen Jutta auf der Weide bei ihren Pferden, sie putzt das eine und ist ganz in ihr Tun versunken. Die Tiere sind ihre Familie, ihr Zuhause. Eine Frau steht schon eine Weile unbemerkt am Rand und beobachtet sie. "Tolle Pferde, sind das deine?" Jutta blickt auf "ja, wieso?" Die Frau schaut sie direkt an, die Gegenwart beginnt.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite