Dienstag, 14. Juli 2009

Rückkehr des Odysseus

Voller Ungestüm war er, begierig darauf nach Hause zu kommen, obwohl er nicht wusste, was ihn erwarten würde. Lang war die Reise gewesen, voller Abenteuer, neuer Eindrücke, Erlebnisse, Hindernisse und Schwierigkeiten, genossen hatte er - trotz allem - jede Minute. Die herbe Luft hatte ihn gezaust, herumgewirbelt, hatte ihn an manch seltsamen Ort verschlagen und ihn herausgefordert. Nicht immer muss es gleich ein Sturm sein, der einem die Rückkehr unmöglich macht.

Polternd war er durchs Hoftor gestürmt, hatte im Laufschritt den kurzen Weg zum Haus genommen, die wenigen Treppenstufen hinauf. Besinnungslos hatt er die Tür aufgerissen, doch jetzt, wo es galt durch den Flur hinein ins Wohnzimmer zu treten, stockte er - mitten in seiner Freude, sein jubelnd klopfendes Herz war mit einem Mal voller Angst und kleinlaut wie ein Hund mit schlechtem Gewissen. Mit welchem Recht drang er hier ein, mit welcher Selbstverständlichkeit verlangte er zurück, was er nie besessen hatte, nie besessen würde.

In der Vorfreude hatte er vergessen, was damals - vor unendlich langer Zeit - geschehen war, in welcher Verfassung er Haus und Hof verlassen und sich dem Schicksal überantwortet hatte: das Bild von ihr wird er wohl nie vergessen können, wie sie in der Tür stand, hoch aufgerichtet, voller Stolz, die Arme vor der Brust verschränkt und in ihren Augen nur Abweisung, kristallklare Kälte. Voller Verachtung hatte sie ihm nachgeblickt und ihn damit mehr gekränkt und gedemütigt, als harsche Worte, Wut oder Hass es je vermocht hätten. Die wenigen Schritte bis zum Hoftor waren ihm endlos lang erschienen und wie groß war seine Befreiung, als er es mit hartem Ruck ins Schloss warf.

Geschafft, nie wieder - das schwor er sich damals - würde er diesen Ort seiner Schmach betreten, nie in seinem ganzen Leben zurückkommen. Freudig hatte er sich dem Schicksal in die Arme geworfen, freudig um einen schnellen Tod gebetet, freudig das weite offene und gefährliche Meer begrüßt.

Und nun stand er hier, im dunklen Flur, voller Furcht, was ihn hinter der halb angelehnten Tür erwarten würde, verzagt, unfähig einzutreten, unfähig fast zu atmen. Wo war sein Mut, seine von allen gepriesene Verwegenheit, wo war der tollkühne Odysseus, der Meere und Gefahren überwand, der im Triumph durch die Straßen der Stadt geführt worden war, rechts und links bejubelt von alt und jung, von allen Bewohnern seiner Heimat? Doch was zählte das Volk, die Menge, die zahlreichen Jubler, wenn es galt, ein einziges Herz nur zum Höherschlagen zu bringen, wenn ihm nur die Meinung eines einzigen Menschen wichtig war? Was würde sie sagen, die er so hartnäckig und verzweifelt vergessen wollte? Wegen der er Land und Heimat hinter sich gelassen hatte, um ihrer Macht zu entfliehen, ihrer Macht, um so vieles größer und stärker als Mut, Kraft und Heldentum.

Da stand er und fühlte sich klein. Mit jeder Minute, die verstrich, ohne dass er einzutreten wagte, wurde er kleiner und hilfloser. Hatte er nicht dem Gesang der Sirenen getrotzt? Er wusste, sie musste nicht singen, um ihren Einfluss zu demonstrieren, ihr Schweigen genügte, ihn zum willigen Sklaven werden zu lassen, der nichts begehrte, als ihr dienen zu dürfen.

Die Sehnsucht, sie wiederzusehen - egal wie sie ihn empfangen würde - siegte schließlich. Er trat ein. Sie saß am Fenster, wandte ihm den Rücken zu und las. Wilde unbändige Freude riss ihn mit, ungestüm durchquerte er mit wenigen Schritten den Raum. Sie wendet den Kopf, Erstaunen, Schrecken, Freude, Spott liegen in ihrem Blick, aber auch Scheu, die ihn mitten in der Bewegung innehalten lässt. Die Arme, Hände, Finger, schon halb ausgestreckt, sie zu umarmen, sinken herab, bewegen sich fahrig, unschlüssig in Hüfthöhe, abgehackt, ihrer Natürlichkeit beraubt.

Sie mustert ihn jetzt gründlich, mit ungeteilter Aufmerksamkeit und tiefem Ernst, der der Situtation fast weihevolle Züge verleiht. Ihr Blick sucht den seinen, versenkt sich in seine Seele, die wie ein aufgeklapptes Buch vor ihr liegt. Schlagartig wird ihm bewusst, dass allein diese Frau die Abgründigkeit seines unsteten Charakters erwidern kann, dass ihre Zerrissenheit die seine anzieht und gegenseitiges Verstehen sie aneinanderkettet.

Es gab zahlreiche Frauen in seinem Leben, von einigen hat er sich das große Glück erhofft, doch erst jetzt wird ihm klar, wie unsinnig sein Träumen war. Er hatte geglaubt zu lieben, obwohl er nur Geborgenheit und Frieden in ihren Unschuldsaugen suchte, die ihn - reinen Kindern gleich - ansahen, liebten, aber niemals zu verstehen vermochten. Ihr völliges Anderssein hatte ihn angezogen, sein Staunen herausgefordert, ihn jedoch jedesmal leer und unzufrieden zurückgelassen, wenn er erkannte, dass sie ihm nichts entgegenzusetzen hatten.

Hier saß seine Herausforderung, ihre Unergründlichkeit fesselte ihn, ihr Geheimnis war dem seinen ebenbürtig, ihre dunkle Nacht loderte wie seine eigene Hölle.

Impulsiv zuckt seine Hand vor und legt sich in ihren Nacken, die Finger in ihr Haar vergrabend, eine zärtliche und gleichzeitig besitzergreifende Geste, eine Reminiszenz an frühere - glücklichere - Zeiten ihres Beisammenseins. Kräftig sein Griff, zu groß die Versuchung, diesen dunklen Nacken, in geradem Stolz Bindeglied zwischen Kopf und Körper, zwischen Verstand und Sinnlichkeit, zu ergreifen, zu liebkosen. Verbindung herstellen, Vertrautheit und - nein soweit wagt er noch nicht zu denken.

Seine Hand brannte und er hätte sie sicher schamhaft wieder zurückgezogen, wenn sich nicht in diesem Moment ihre Züge schlagartig verändert hätten: Alles Starre und sorgfältig Gezügelte fiel von ihr ab und vor ihm stand das ungebändigte Mädchen, das ihn vor wissen die Götter wie langer Zeit bezaubert und mitgerissen hatte.

Wie rote Nacht ergoss sich ihr Blick in ihn, wühlte sich in seine Tiefen und fragend brach ihr Wissensdurst durch sein Seelengestrüpp. Die alte Vertrautheit - wie schnell war sie auf einmal wiederhergestellt, hier war sein Partner, den er auf seiner endlos langen Fahrt so nachdrücklich gesucht hatte, um sich mit ihm messen zu dürfen, hier war er und hier war sie, gleichberechtigt und ebenbürtig.

Sie hatte die schon verheilte Narbe, die er vom Kampf mit dem Drachen davongetragen hatte, entdeckt, er sah Erschrecken, Ahnen und schließlich Einverständnis in ihren Augen. Mit leichter Hand fuhr sie sie entlang und akzeptierte. Eine Spur von Lächeln und Spott spielte um ihren Mund, dem noch kein einziges Wort entschlüpft war und mit einer grenzenlosen Erleichterung schüttelte er sie sanft im Genick. Er wusste: Alles ist gut.

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