Sonntag, 12. Dezember 2010

"Sach-bearbeiter"

Der Sachbearbeiter rückt die Brille zurecht und schnaubt kurz stoßweise aus, bevor er sich wieder dem jungen Mann zuwendet. "Das ist egal. Hauptschulabschluss ja oder nein, Sie müssen sich bewerben, und zwar innerhalb der nächsten 3 Tage. Als Beleg bekomme ich wie immer das Anschreiben in Kopie."

Es ist November, die Bewerbungsphase für einen Ausbildungsplatz längst abgeschlossen. Der junge Mann macht immer weiter: Er durchforstet das Branchenbuch, Zeitungen, Internet etc. nach Anzeigen, Adressen, Hinweisen. Er schreibt zig Bewerbungen. Er bekommt Absagen. Und jetzt, wo es darum geht, wenigstens einen Ausbildungsplatz fürs nächste Jahr zu bekommen, meist die Info, dass man das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen kann. Die Firmen haben ihre Azubis, die vielleicht nächstes Jahr Prüfung machen. Theoretisch könnten sie dann einen neuen Azubi einstellen. Fällt der jetzige aber durch und muss die Prüfungen wiederholen, verlängert sich seine Ausbildungszeit - Pech für den neuen Bewerber.

Der Sachbearbeiter schüttelt genervt den Kopf, beugt sich etwas vor und klackert ungeduldig mit dem Kugelschreiber, man merkt deutlich, was er von seinem Gegenüber hält. "Den Test können Sie sich sparen, Förderschüler fallen da ohnehin immer durch."

In den letzten 8 Monaten hat der junge Mann über 30 Firmen kontaktiert, nach Ausbildungsmöglichkeiten und Voraussetzungen gefragt, Bewerbungsunterlagen hingeschickt, nach einer gewissen Zeit, wenn keine Antwort kam, nochmal telefonisch nachgefragt. Er hat an einer Maßnahme vom Arbeitsamt teilgenommen, wo er eine genormte Bewerbungsmappe vorgestellt bekam, nach der er sich zu richten habe. Er hat 2 weitere Praktika gemacht, ist anschließend seinen Zeugnissen hinterhergelaufen. Vom Arbeitsamt hat er in dieser Zeit genau 2 Ausbildungsplatzangebote bekommen, auf die er sich binnen 3 Tagen bewerben sollte, das Anforderungsprofil verlangte Hauptschulabschluss und Führerschein, beides hat er nicht, die Absagen also vorprogrammiert.

"Junge Frau, etwas anderes habe ich derzeit nicht. Auch wenn Sie keine ausgebildete Erzieherin sind, Sie müssen es zumindest versuchen, ich sehe Sie dann in 3 Wochen wieder." Der Sachbearbeiter klappt die Mappe zusammen und greift nach dem Kaffeebecher, das Gespräch ist beendet und die Frau vor ihm nur noch lästig mit ihren Fragen und sinnlosen Bemerkungen.

Ein Berufswechsel ist stets schwierig und mit gewissen Risiken verbunden. Alles ist neu und unbekannt. Mitarbeiter des Arbeitsamtes haben den Überblick über zahlreiche Berufe, Arbeitsfelder, über Möglichkeiten wie Umschulung, finanzielle Förderung, Quereinstiege u.ä. So zumindest die Vorstellung des ahnungslosen Laien, der sich in seiner Orientierungslosigkeit an seinen Sachbearbeiter wendet.

"Eine Neuorientierung im pädagogisch-erzieherischen Bereich können wir angesichts Ihres psychologischen Tests und Ihres Alters nicht unterstützen. Mit Ihrer Vorgeschichte schaffen Sie das ohnehin nicht." Der Sachbearbeiter schaut die Frau gelangweilt an. Sie ist nicht die einzige mit irgendwelchen abstrusen Ideen und Vorstellungen. Zum Glück ist bald Feierabend.

"Tja, Sie wissen, in welchen Schwierigkeiten unsere Abteilung steckt. Die Zeiten sind ja allgemein schlecht und wenn dann noch die Arbeitslosen ausbleiben... Wir müssen Personal entlassen, notgedrungen, es tut mir wirklich sehr leid... - aber, Sie wissen ja selbst, bei Ihrem Sachbearbeiter des Arbeitsamtes sind Sie stets gut aufgehoben."

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