"Büße, Tochter der götterverlassenen Nacht, büße!"
Durch die Straßen lief sie, es war weit nach Mitternacht, eine samtig weiche Sommernacht, eine Nacht für verliebte Paare, für Nachtschwärmer, eine Nacht zum Träumen, zum Glücklichsein. In ihr jedoch tobten sämtliche Höllenfeuer, und der Chor der tausend und abertausend Stimmen schrie und heulte auf sie ein. Empört hatte ihn ihr unmögliches Benehmen und außer sich vor Wut und Hass bestürmte er die arme Sünderin mit seinem Anklagegesang von dem durchdringender als alles andere ihr ein beständiges "büße, büße!" in den Ohren gellte.
Sie hatte schon Schuhe und Strümpfe ausgezogen und bemühte sich, nicht den kleinen spitzen Steinen auszuweichen, denn sie wollte büßen, aufrichtig ihr Tun sühnen und damit - so hoffte sie wenigstens - ein bisschen Ruhe finden.
Etwas tief in ihr jedoch rebellierte gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit, etwas in ihr war nicht demütig und fromm und bußbereit, sondern ganz im Gegenteil voller Zorn und Auflehnung, voller Hass fast und schrecklich erbittert über das eigene Verdammtsein zur Ohnmacht.
"Odysseus, ha!" voller Hohn klang ihr kurzes Auflachen "wer bist du, dass du meinst, du könntest mir was vorspielen, ausgerechnet mir, der du früher immer dein Herz ausgeschüttet hast, zu der du Sorgen und Kummer gebracht, bei der du dich ausgeweint hast. Was ist passiert, dass du nun also auch vor mir den großen Helden mimst, den Frauenliebling, den Starken, den Kämpfer, den Siegreichen? Bist du wirklich so darauf angewiesen, von jedem nur noch Ehrfurcht und Bewunderung widergespiegelt zu bekommen?"
Sie dachte an den Abend zurück, wie sehr hatte sie sich gefreut, ihn nach all den Jahren wiederzusehen. Ein paar Wochen war er nun schon in der Heimat, Tage, an denen sie voller Ungeduld darauf gewartet hatte, dass er endlich auch zu ihr kommen würde, an denen sie zuversichtlich war, dass er ihre zahlreichen kleinen Briefe und Aufmerksamkeiten nicht unbeantwortet lassen würde, Tage aber auch, an denen sie teilweise hoffnungslos und in tiefster Resignation am Fenster saß und wusste, er würde nicht kommen.
Schon einmal hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und war in die Nähe seines Hauses geschlichen, aber dann hatten sie doch Zweifel übermannt, und eilig und beschämt war sie umgekehrt. Das Schlimmste für sie wäre es, lästig zu sein, ungelegen zu kommen, zu stören. Heute jedoch, heute war der Drang in ihr, ihn wiederzusehen so stark gewesen, dass sie blindlings zu ihm hinmarschiert war, ohne an mögliche Folgen zu denken.
Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit, sie waren zusammen aufgewachsen, hatten die gleichen Spiele gespielt, die gleichen Streiche ausgeheckt. Hatten sie nicht gemeinsam unter den Heckenrosen gesessen und von der großen weiten Welt geträumt, von den Meeren und Stürmen, von Drachen und Zyklopen, von gefährlichen Abenteuern und der siegreichen Heimkehr als Held? Ja, für ihn war dies alles Wirklichkeit geworden, er war siegreich heimgekehrt - von großen Abenteuern - als "Held".
In den Stürmen und brausenden Wogen musste ihm jedoch die Freundschaft verlorengegangen sein, wie sonst ließ sich erklären, dass er sie so gleichgültig, so nichtachtend, so voller Desinteresse behandelte und ihr - wie allen anderen - nur die glänzende Außenfassade seines Ichs entgegenhielt.
Sie rannte mehr als dass sie ging, ihr Haar war eine Spur wilder als sonst und wer sie nicht kannte, hätte meinen können, sie werde vom Teufel höchstpersönlich verfolgt, so weitaufgerissen waren ihre Augen, in denen sich Schmerz und Trauer festgekrallt hatten. Sie war verletzt und zutiefst gekränkt, fühlte sich ausgenutzt, gedemütigt und achtlos weggeworfen, wie ein alter Handschuh.
War das noch der Odysseus, den sie zu kennen glaubte? Der sein großes reines Herz freimütig vor ihr ausgebreitet hatte und ohne Scheu auch eigene Schwächen und Fehler eingestehen konnte? War das Odysseus, der ein Lied auf die Freundschaft sang und ihr Treue schwor, weil sie beständiger war als brennende Liebe? Irgendwo in der hintersten Ecke ihrer Erinnerung tauchte jedoch ein Satz auf, den er - heranwachsend - zu ihr gesagt und den sie zu ignorieren versucht, verdrängt hatte: "Zwischen Mann und Frau kann es keine dauerhafte Freundschaft geben, sie wird durch Liebe ersetzt oder zerbricht."
Sie hatte ihn nicht ernstgenommen, hatte ihn abgetan, wie einen Zauberspruch, an den man nicht glaubt, obwohl sie wusste, was für ein Frauenheld er war, seine Eskapaden kannte - hoffnungslos verdorben - und das ständige Kokettieren mit seiner düsteren Lasterhaftigkeit im Grunde genommen hasste. Sie hatte darüber hinweggesehen, hatte die Augen davor verschlossen, weil sie sein Freund sein wollte.
Verkannt habe ich dich, oh wie habe ich mich in dir getäuscht, großer Odysseus, pah, von wegen groß, klein bist du, winzigklein und eingeschränkt dein Geist, der vorgibt aufgeklärt und tolerant zu sein. Weißt du, wie hassenswert du bist, wie abgrundtief abscheulich deine Nichtachtung mir gegenüber ist, deine Nachlässigkeit, dein unentschuldbares Verhalten?
Du spielst vor mir den großen Liebhaber, erzählst mir, was du dir alles einfallen lässt, um deine aktuelle Flamme zu begeistern, zu verführen, zu erobern. Du steckst voller Einfälle, Ideen, ihr zu gefallen, zu imponieren, sie zu beeindrucken, denkst du dir stets Neues aus, überraschst sie mit den ausgefallensten Geschenken, schreibst ihr Gedichte, arrangierst ein Picnic im Mondschein, deine Gedanken überschlagen sich förmlich.
Und ich? Verdammt nochmal Odysseus und ich? Behandelt man so eine alte Freundin, die die langen Jahre deiner Abwesenheit stets voll Sorge an dich gedacht hat, die um dich zitterte und bangte, die vor Zeus auf den Knien lag, zahlreiche Lämmer opferte und ihn um eine baldige und glückliche Rückkehr anflehte? Ich hielt dir die Treue, ich wandte mich nicht ab, als man anfing, Schlechtes über dich zu erzählen und Witze über deine Einfalt und Naivität machte. Ich habe dich verteidigt und zu dir gehalten, auch wenn in dieser langen Zeit kein einziger Brief ankam.
Verraten hast du meine Freundschaft, verraten und hintergangen, da liegt sie, im Staub, krümmt sich vor Schmerz und Enttäuschung, während du ihre Tränen nicht einmal siehst und sie nur immer weiter mit den Füßen trittst. Was bist du für ein Tier, was für eine brutale, ungehobelte Bestie, hassen werde ich dich bis ans Ende meiner Tage, hassen und verachten. Besudelt hast du die Freundschaft, indem du mir zeigtest, was du für ein "Mann" bist - mich ekelt!
Zusammengekauert im Staub, vor Erschöpfung halb eingedämmert, gleich würde ein neuer Morgen hereinbrechen - nichts war mehr gut, nie wieder.
Durch die Straßen lief sie, es war weit nach Mitternacht, eine samtig weiche Sommernacht, eine Nacht für verliebte Paare, für Nachtschwärmer, eine Nacht zum Träumen, zum Glücklichsein. In ihr jedoch tobten sämtliche Höllenfeuer, und der Chor der tausend und abertausend Stimmen schrie und heulte auf sie ein. Empört hatte ihn ihr unmögliches Benehmen und außer sich vor Wut und Hass bestürmte er die arme Sünderin mit seinem Anklagegesang von dem durchdringender als alles andere ihr ein beständiges "büße, büße!" in den Ohren gellte.
Sie hatte schon Schuhe und Strümpfe ausgezogen und bemühte sich, nicht den kleinen spitzen Steinen auszuweichen, denn sie wollte büßen, aufrichtig ihr Tun sühnen und damit - so hoffte sie wenigstens - ein bisschen Ruhe finden.
Etwas tief in ihr jedoch rebellierte gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit, etwas in ihr war nicht demütig und fromm und bußbereit, sondern ganz im Gegenteil voller Zorn und Auflehnung, voller Hass fast und schrecklich erbittert über das eigene Verdammtsein zur Ohnmacht.
"Odysseus, ha!" voller Hohn klang ihr kurzes Auflachen "wer bist du, dass du meinst, du könntest mir was vorspielen, ausgerechnet mir, der du früher immer dein Herz ausgeschüttet hast, zu der du Sorgen und Kummer gebracht, bei der du dich ausgeweint hast. Was ist passiert, dass du nun also auch vor mir den großen Helden mimst, den Frauenliebling, den Starken, den Kämpfer, den Siegreichen? Bist du wirklich so darauf angewiesen, von jedem nur noch Ehrfurcht und Bewunderung widergespiegelt zu bekommen?"
Sie dachte an den Abend zurück, wie sehr hatte sie sich gefreut, ihn nach all den Jahren wiederzusehen. Ein paar Wochen war er nun schon in der Heimat, Tage, an denen sie voller Ungeduld darauf gewartet hatte, dass er endlich auch zu ihr kommen würde, an denen sie zuversichtlich war, dass er ihre zahlreichen kleinen Briefe und Aufmerksamkeiten nicht unbeantwortet lassen würde, Tage aber auch, an denen sie teilweise hoffnungslos und in tiefster Resignation am Fenster saß und wusste, er würde nicht kommen.
Schon einmal hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und war in die Nähe seines Hauses geschlichen, aber dann hatten sie doch Zweifel übermannt, und eilig und beschämt war sie umgekehrt. Das Schlimmste für sie wäre es, lästig zu sein, ungelegen zu kommen, zu stören. Heute jedoch, heute war der Drang in ihr, ihn wiederzusehen so stark gewesen, dass sie blindlings zu ihm hinmarschiert war, ohne an mögliche Folgen zu denken.
Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit, sie waren zusammen aufgewachsen, hatten die gleichen Spiele gespielt, die gleichen Streiche ausgeheckt. Hatten sie nicht gemeinsam unter den Heckenrosen gesessen und von der großen weiten Welt geträumt, von den Meeren und Stürmen, von Drachen und Zyklopen, von gefährlichen Abenteuern und der siegreichen Heimkehr als Held? Ja, für ihn war dies alles Wirklichkeit geworden, er war siegreich heimgekehrt - von großen Abenteuern - als "Held".
In den Stürmen und brausenden Wogen musste ihm jedoch die Freundschaft verlorengegangen sein, wie sonst ließ sich erklären, dass er sie so gleichgültig, so nichtachtend, so voller Desinteresse behandelte und ihr - wie allen anderen - nur die glänzende Außenfassade seines Ichs entgegenhielt.
Sie rannte mehr als dass sie ging, ihr Haar war eine Spur wilder als sonst und wer sie nicht kannte, hätte meinen können, sie werde vom Teufel höchstpersönlich verfolgt, so weitaufgerissen waren ihre Augen, in denen sich Schmerz und Trauer festgekrallt hatten. Sie war verletzt und zutiefst gekränkt, fühlte sich ausgenutzt, gedemütigt und achtlos weggeworfen, wie ein alter Handschuh.
War das noch der Odysseus, den sie zu kennen glaubte? Der sein großes reines Herz freimütig vor ihr ausgebreitet hatte und ohne Scheu auch eigene Schwächen und Fehler eingestehen konnte? War das Odysseus, der ein Lied auf die Freundschaft sang und ihr Treue schwor, weil sie beständiger war als brennende Liebe? Irgendwo in der hintersten Ecke ihrer Erinnerung tauchte jedoch ein Satz auf, den er - heranwachsend - zu ihr gesagt und den sie zu ignorieren versucht, verdrängt hatte: "Zwischen Mann und Frau kann es keine dauerhafte Freundschaft geben, sie wird durch Liebe ersetzt oder zerbricht."
Sie hatte ihn nicht ernstgenommen, hatte ihn abgetan, wie einen Zauberspruch, an den man nicht glaubt, obwohl sie wusste, was für ein Frauenheld er war, seine Eskapaden kannte - hoffnungslos verdorben - und das ständige Kokettieren mit seiner düsteren Lasterhaftigkeit im Grunde genommen hasste. Sie hatte darüber hinweggesehen, hatte die Augen davor verschlossen, weil sie sein Freund sein wollte.
Verkannt habe ich dich, oh wie habe ich mich in dir getäuscht, großer Odysseus, pah, von wegen groß, klein bist du, winzigklein und eingeschränkt dein Geist, der vorgibt aufgeklärt und tolerant zu sein. Weißt du, wie hassenswert du bist, wie abgrundtief abscheulich deine Nichtachtung mir gegenüber ist, deine Nachlässigkeit, dein unentschuldbares Verhalten?
Du spielst vor mir den großen Liebhaber, erzählst mir, was du dir alles einfallen lässt, um deine aktuelle Flamme zu begeistern, zu verführen, zu erobern. Du steckst voller Einfälle, Ideen, ihr zu gefallen, zu imponieren, sie zu beeindrucken, denkst du dir stets Neues aus, überraschst sie mit den ausgefallensten Geschenken, schreibst ihr Gedichte, arrangierst ein Picnic im Mondschein, deine Gedanken überschlagen sich förmlich.
Und ich? Verdammt nochmal Odysseus und ich? Behandelt man so eine alte Freundin, die die langen Jahre deiner Abwesenheit stets voll Sorge an dich gedacht hat, die um dich zitterte und bangte, die vor Zeus auf den Knien lag, zahlreiche Lämmer opferte und ihn um eine baldige und glückliche Rückkehr anflehte? Ich hielt dir die Treue, ich wandte mich nicht ab, als man anfing, Schlechtes über dich zu erzählen und Witze über deine Einfalt und Naivität machte. Ich habe dich verteidigt und zu dir gehalten, auch wenn in dieser langen Zeit kein einziger Brief ankam.
Verraten hast du meine Freundschaft, verraten und hintergangen, da liegt sie, im Staub, krümmt sich vor Schmerz und Enttäuschung, während du ihre Tränen nicht einmal siehst und sie nur immer weiter mit den Füßen trittst. Was bist du für ein Tier, was für eine brutale, ungehobelte Bestie, hassen werde ich dich bis ans Ende meiner Tage, hassen und verachten. Besudelt hast du die Freundschaft, indem du mir zeigtest, was du für ein "Mann" bist - mich ekelt!
Zusammengekauert im Staub, vor Erschöpfung halb eingedämmert, gleich würde ein neuer Morgen hereinbrechen - nichts war mehr gut, nie wieder.
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