Donnerstag, 16. Juli 2009

Traurig, ach ja, wie traurig. Am Fenster sitze ich, am Fenster in meinem Zimmer und bin betrübt. Wie konnte ich aber auch annehmen, dass die Zeit unbeschadet über ihn hinweggegangen sein könnte, wie annehmen, es möge noch immer die alte Vertrautheit zwischen uns bestehen, noch immer, wie vor Jahren, als wir uns trennten als Freunde, und er aufbrach zu Abenteuer, Ruhm und Ehre.

Was ist passiert? Warum nur ist er so fremd? Kommt es nur mir so vor oder ist tatsächlich ein völlig anderer Mensch nach vielen Jahren nach Athen heimgekehrt? Fremd ist er mir, so entsetzlich fremd. Als wir uns vor ein paar Stunden trafen und ich ihn von weitem schon wiedererkannte, dachte ich einen Moment, die Zeit sei stehengeblieben und wir beide wieder jung und unbedarft - das Leben noch gespannt erwartend. Aber ach, wie schnell verflog diese Illusion und wie schnell musste ich erkennen, wie fremd wir einander geworden waren. Ich glaube, auch er war bestürzt darüber, auch er konnte nicht glauben, dass selbst Freunden wie uns dieses Schicksal nicht erspart bleibt.

Freunde - gute Freunde, damals dachten wir beide Freunde in alle Ewigkeit - standen sich wie Fremde gegenüber. Wie Fremde erzählten wir uns dies und jenes, wie Fremde lachten wir und scherzten, wie Fremde taten wir so, als sei "alles bestens" und wir glücklich und zufrieden mit der Situation. Wie absurd und beschämend, wie erniedrigend und demütigend, dem besten Freund, dem einzigen, gegenüberzusitzen, so nah und doch so erschreckend weit entfernt. Eine unsichtbare Mauer trennte uns, unsichtbar für jeden Außenstehenden aber kalte, spürbare Realität für uns, die wir versuchten, sie zu durchbrechen, oder wenigstens ein winziges Loch hineinzuschlagen.

Es war unmöglich, er kratzte auf seiner, ich auf meiner Seite, doch die zunehmende Trauer unserer Herzen legte zusätzlich noch eine dicke Eisschicht darüber. Quälend zäh verflossen die Minuten, wir hangelten uns von Augenblick zu Augenblick und obwohl wir genügend Gesprächsstoff hatten und kein peinlich-bedrückendes Schweigen entstand, wussten wir doch beide, dass unser Reden die Freundschaft nicht mehr zu beleben vermochte, im Gegenteil, sie zog sich in immer weitere Fernen der Vergangenheit zurück.

Vielleicht wäre es besser gewesen, nach den ersten 10 Minuten das Treffen einfach abzubrechen, es wäre zumindest aufrichtig gewesen und weniger würdelos. Nach gut 1 1/2 Stunden erschien es uns dann jedoch absolut notwendig zu sein auseinanderzugehen, zu lange schon hatten wir beide uns durch dieses erbärmliche Schauerstück, halb Trauerspiel, halb Komödie, gekämpft und wie Gladiatoren nach einem anstrengenden Kampf waren wir müde, erschöpft, am Ende unserer Kräfte. Kaum hatte ich noch die Kraft, ihm "Lebwohl" zu sagen, zu schwer wog das Gewicht der dunklen Gegenwart, die mir die Erinnerung an vergangene Zeiten in noch hellerem, strahlenderem Licht zeigte. Wie ein Blitz zuckte sie vor meinem inneren Auge auf, um dann, nach diesem kurzen Aufflammen, in tiefste Dunkelheit zu sinken.

Ich schleppte mich nach Hause, konnte kaum meine Füße vom Boden heben, so bleischwer zog mich hinab, was ich erlebt hatte und immer noch nicht recht fassen konnte. Ich habe ihn verloren, keine Hoffnung mehr, keine Zukunft.

Liegt es an unseren unterschiedlichen Erfahrungen in den letzten Jahren? Dass er Meere befahren und andere Welten gesehen hat, während ich nur immer hier zuhause war und einen geruhsamen und wohl auch recht eintönigen Lebensalltag verbrachte? Was trennt mich von ihm, was ist so unüberwindlich, dass es wie ein See voller Bitterkeit zwischen uns liegt? An gutem Willen mangelt es uns beiden nicht, er selbst wollte mich schließlich sehen, und welch Leuchten glitt über sein Gesicht, als er mich sah? War es vielleicht nur die Sehnsucht nach den unbekümmert-sorglosen Jahren, die wir gemeinsam verbrachten, die nun hinter uns liegen und nie wiederkommen werden? Träumten wir beide davon, mit diesem Treffen, wenn nicht glücklichere, so doch zumindest zweifelsfreiere und damit leichtere Zeiten heraufzubeschwören?

Nun jedenfalls sind wir erwacht und blicken noch unausgeschlafen und in der ungemütlichen kalten Morgendämmerung fröstelnd auf die nackte Realität, der einhüllende Schleier des Traumes ist weggerissen.

Ich habe einen Freund verloren - unwiderbringlich.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite