Freitag, 17. Juli 2009

Tuuli laulu taru, was für ein geheimnisvoller Klang in den Worten, welch aufregende Verheißung bargen sie in sich, wie gut ließ sich mit ihnen träumen. Träumen vom Aufbruch, vom Aufbruch in die Ferne, vom Aufbruch ins Abenteuer, in die Ferne.

Odysseus saß am Fenster, blickte hinaus auf die Straßen - menschenleer, kaum etwas zu sehen, um diese frühe Morgenstunde. Hin und wieder huschte vielleicht mal eine etwas zwielichtige Gestalt vorbei, die - wie er - nicht mehr schlafen konnte, oder noch gar nicht geschlafen hatte. Warum schlief er nicht wie sonst auch, seinen ruhigen, tiefen, erquickenden Schlaf? Was war so beunruhigend, was quälte ihn?

Er war nach Hause gekommen, in die Heimat, überglücklich hatte er Vater und Mutter, die jüngeren Geschwister in die Arme geschlossen und sich gefreut, daheim, endlich, nach so langer Zeit also daheim. Die ersten Tage war er mit offenen Augen durch die Straßen der Stadt gezogen, gierig hatte er alles Neue, alles doch irgendwie so wohlvertraute in sich aufgesogen und den Frieden, die Ruhe, die Eintönigkeit genossen. Es war erholsam nach den aufregenden Zeiten auf dem Meer.

Tuuli, klang das nicht wie der leise Ruf des Windes in den Segeln bei guter Fahrt? Wenn man vorankam und das Schiff wie von selbst über das Wasser glitt? Tuuli, tuuli, kleiner verführerischer Ruf, lockend, bittend, ein leiser Ruf, vertraut, in ihm lag soviel Sehnsucht, soviel Hoffnung und Freiheit.

War er denn hier unfrei? Fühlte er sich etwa gefangen? Bestimmt nicht, er konnte tun und lassen was er wollte, er war ein Held, im Triumph von der ganzen Stadt empfangen, er genoss alle nur denkbaren Freiheiten. Auch seine Familie vereinnahmte ihn nicht - wie er manchmal befürchtet hatte, er konnte kommen und gehen wann und wohin er wollte. Aber die Stadt war klein, so erschreckend klein angesichts der Weiten, die er erlebt hatte: Weite des Meeres, unendlicher Himmel, freier Blick bis zum Horizont in alle Richtungen.

Er wendet sich ab vom Fenster, blickt in dem kleinen Raum umher, nachdenklich. Hier ist er aufgewachsen, er ist ein Stück Heimat - sein Zimmer im Hause seiner Eltern - er war vor ihm schon da und wird immer für ihn da sein, bereit, ihm Asyl zu gewähren. Und doch, er muss raus hier, wie bedrückend dieses Eingesperrtsein auf engstem Raum. Das hat nichts mit der Größe eines Zimmers zu tun, es könnte ein Ballsaal, eine Markthalle sein und er würde sich trotzdem unbehaglich fühlen - man sieht überall Wände, Begrenzung, die einengt, nicht wie die Linie des Horizontes, die das Versprechen in sich trägt, nie näherzukommen.

Rasch zieht er sich an, wirft sich einen Umhang über und verlässt fluchtartig das Haus. In den Straßen fühlt er sich freier, schnellen Schrittes durcheilt er sie. Wohin? Wohin lockt ihn die Nacht? Die Nacht in ihrer kühlen Stille, weich einhüllend?

Laulu, der Gesang der Nacht, der Gesang des Meeres, ein Lauschen, ein Rauschen, einlullend, schlummern in diesem Singsang der Wellen. Leises Plätschern der Wellen am Bug des Schiffes, dahintreiben, ohne Ziel, entgegentreibend, was die Götter für einen vorherbestimmt haben, was sie für richtig halten. Und doch, gerade am Ende seiner langen Reise diese grenzenlose Einsamkeit, verlassen von allen Göttern, niemand, der ihn führt, auf den man vertrauen könnte.

Er denkt ungerne an diese Augenblicke tiefster Verzweiflung zurück wo er erbittert auf den Knien vor ihnen lag und wusste, sie würden nicht antworten, nicht ihm, der ausgezogen war sie herauszufordern, der beweisen wollte, welche Kraft und Energie in diesen kleinen schwachen Menschenkreaturen stecken kann, der sich befreien wollte von der Herrschaft und Willkür der launischen Götter, die gnädig gestimmt sein wollten und ergebenen Dienst von einem forderten.

"Ich will nicht dienen", er schreit es durch die Gassen, zitternd im Innern, ob ihn nun der Blitz des allgewaltigen und zu leicht nur reizbaren Zeus treffen würde, aber nichts geschieht, nicht einmal die Bäume verstärken ihr leises Rauschen.

Taru, alles nur eine Sage vielleicht? Die zahlreichen Geschichten und Erzählungen der Alten, die von Generation zu Generation weitervererbt werden? Ihn zittert bei diesem frevlerischen Gedanken. Tand, Tarnung, Ruhe, Beruhigung. Taru, dunkel, geheimnisvoll, versteckend, was nicht ans Licht will, was im Dämmer des Tages, der Nacht ausgebrütet wird und lebt.

Aber er hatte sie gesehen, die Götter, sie hatten leibhaftig vor ihm gestanden, er wusste - oder meinte zu wissen - dass es sie gab, dass ihn seine Augen nicht getrogen haben konnten. Doch wenn es sie auch gab, waren sie Freunde oder Gegner der Menschen? Musste man ihnen dienen oder gegen sie kämpfen? Kämpfen für Selbständigkeit, für Unabhängigkeit, für Freiheit? Hatten sie nicht bestimmt, dass Städte gebaut werden sollen, Tempel und Altäre? Hatten sie nicht angeordnet, dass Menschen sich in Städten zusammenschließen und sesshaft werden? Oh wie er sie hasste dafür und dagegen rebellierte.

Er ist inzwischen fast am Hafen angelangt, schon kann er das Meer, sein Salz, riechen, schmecken, die Wellen an die Kaimauer klatschen hören, ah, er lebt auf, noch ein paar Schritte, hastig zurückgelegt, und er steht da, vor ihm ausgebreitet das Meer, sein Freund und Begleiter, seine Sehnsucht. Tiefes Aufatmen, kurzes Augenschließen, um diesen Anblick nur noch gieriger in sich aufzunehmen.

Das Meer, wie bestürmt es sein Herz, zieht es hinaus in die Weiten, in die Ferne, das Unbekannte. Ja, er wird diese Stadt verlassen, er wird erneut aufbrechen, zu neuen Ufern, unbekannten Stränden. Ankommen ist schön, aber aufbrechen ist Glück, liegt doch darin noch all die Hoffnung, die Sehnsucht, die in einem wachen Menschenherz zu wachsen vermag.

Tuuli, laulu, taru. Worte, ihm zugeraunt im Heraufdämmern eines neuen Tages, irgendwann, irgendwo, in fremder Zunge, Laute nur und doch voller Ahnung: Wind, Gesang, eine Sage.

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