Freitag, 17. Oktober 2025

Blognacht Vol. 61: Trotzdem!

Trotzdem - Was ist eigentlich los?
Trotzdem - Ich finde gar keinen Zugang mehr zu dir.
Trotzdem - Ich will dich nicht verlieren!

Wer bin ich, dass ich nicht wenigstens versuche, etwas erneut zu verbinden, was früher so selbstverständlich da war und jetzt schon lange nur noch Schmerz und Trauer und Hoffnungslosigkeit verursacht.

Unsere Mütter waren schon dicke Freundinnen. Als junge Mädchen an ihrem ersten Arbeitsplatz, gemeinsame Arbeit, gemeinsames Kantinenessen, gemeinsames unter dem Chef leiden, gemeinsame Träume und Zukunftspläne. So unterschiedlich sie auch in ihren Ansichten, im Charakter, ihrer Persönlichkeit waren, so stark und haltbar war doch das Band zwischen ihnen, bis ins hohe Alter, bis zum Tod der einen, schmerzlich vermisst von der anderen.

Wir waren 2, saßen zusammen im Sandkasten, verstanden nicht viel, sagten fast nichts, blickten einander interessiert an, dachten uns unseren Teil, verbrachten den Tag zusammen, wie unsere Mütter, und auf einer sehr instinktiven Weise wurden wir Freundinnen, schon da.

Wir waren 9, zogen uns gleich an, grüne Jeanshosen und blau-weiß gestrickte Westen, die meine Mutter für uns beide gestrickt hatte. Wir wollten Zwillinge sein. Wir machten Pläne, wie wir in Zukunft zusammen leben wollten, wie wir unsere Eltern davon überzeugen könnten und was wir zusammen arbeiten würden, wenn wir groß wären. Abends lagen wir nebeneinander im Dunkeln im Bett, flüsterten noch lange, an Schlaf war nicht zu denken.

Wir waren 12, ihre Mutter war schwer krank, musste für längere Zeit ins Krankenhaus, sie blieb bei uns, es gab viele Fragen: über Leben und Sterben, woher wir kommen, was nach dem Tod kommt, ob man Turnschuhe anziehen darf, ihre Mutter war strikt dagegen, daher wurden bei Fotos von uns beiden immer die Füße nicht mitfotografiert oder meine kleine Schwester musste sich davorstellen, damit man sie nicht sah.

Lange hielten wir Kontakt über Briefe, wie geht es dir, mir geht es gut, rituelle immer wiederkehrende Sätze am Anfang und Ende, wenn wir uns alle paar Jahre trafen, war es, als hätten wir erst gestern noch zusammengesessen, keine Fremdheit, kein sich erst wieder aneinander gewöhnen müssen, sie war da und wir legten los, unsere Freundschaft schien unerschütterlich zu sein.

Sie verliebt sich in eine Frau und erzählt mir erst Monate später davon. Sie war Jahre früher die erste gewesen, der ich von meiner Verliebtheit in eine Klassenkameradin erzählt hatte. Plötzlich ist sie mir fremd, ich falle in Schweigen, finde keine Worte, bin geschlagen, weit weg, die Distanz scheint unüberbrückbar.

Trotzdem schreibe ich ihr, besuche sie, lasse den Kontakt nicht abbrechen, versuche zu retten, versuche zu vergessen, ignoriere meinen Schmerz, rede ihn klein, spalte ihn ab, mache weiter, wie früher, bitte.

Irgendwann sind wir älter geworden, sie hat sich in einen Mann verliebt, lange mit ihm zusammengelebt, geheiratet, ich erfahre wieder erst deutlich später davon, schüttele mich nur kurz, mache weiter, halte fest an dieser Freundschaft - Freundschaft?

Ihr Leben geht weiter, Kinder, die größer werden, zur Schule gehen, ihre Mutter stirbt, meine Mutter verliert ihre langjährige Freundin, trauert, hält den Kontakt zur Tochter, die gemeinsame Trauer verbindet, lässt mich außen vor. Ich verstehe, nehme mich zurück, respektiere den Abstand, den sie offensichtlich braucht und einfordert.

Trotzdem schreibe ich ihr, inzwischen per Mail, schlage immer mal wieder ein Treffen vor, lade sie unverbindlich ein, schicke kleine Geschenke, freue mich, wenn sie hin und wieder antwortet, kurz, gestresst, mit völlig anderen Dingen beschäftigt und vermutlich nur pflichtgemäß aufgrund der früheren Verbundenheit, ein Treffen kommt nicht zustande.

In mir die Angst, die Panik, die Ohnmacht, die Freundschaft nur noch ein Schatten vergangener Zeiten?
Trotzdem weitermachen, weiterschreiben, weiterhoffen, obwohl das Offensichtliche unübersehbar.
Trotzdem!

(Danke für den Schreibimpuls an Anna Koschinski von blognacht.de

1 Kommentare:

Blogger Sabine meinte...

Was für ein wunderschöner, trauriger Beitrag! Wahrscheinlich hat fast jeder eine frühere, ganz dicke Freundschaft, die im Laufe der Zeit immer dünner wurde und schließlich brach liegt.
Trotzdem man diesen Zustand furchtbar findet, geht einfach nichts mehr zusammen und man wird sich fremd.
Schade. Aber auch so normal. Ich freue mich für alle, deren Kinderfreundschaften für immer halten!
Schön geschrieben!!

Sabine aus dem Mausloch

20. Oktober 2025 um 12:48  

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