Dienstag, 23. September 2025

Friedensflieger

Ich liege in der Abendsonne, die Augen geschlossen, erschöpft vom Tag, aber froh über diese vielleicht letzte Gelegenheit, denn der Herbst macht es sich bereits gemütlich und bringt viel Kälte, Regen, Nebel und graue Tage.

Ein zuerst nicht einzuordnendes Geräusch, ein leichtes Brummen oder eher Knattern, dann berührt mich etwas auf dem Handrücken. Vorsichtig drehe ich den Kopf, eine Libelle ist gelandet, ich halte den Atem an, schaue, ein wenig verwundert, beobachte neugierig.

Ganz vorsichtig setze ich mich auf, so dass ich sie jetzt genauer ansehen kann. "Was ist, bin ich ein Mondkalb oder was?" Ich schüttel ungläubig den Kopf "Du sprichst?" "Du doch auch!" "Ja, aber..." "Ja, ja, schon klar, mir als kleinem Insekt hast du das nicht zugetraut, richtig?" Ich nicke, ertappt, lausche, leicht irritiert:

Ich habe eine Mission, ich bin Friedensflieger, die Welt braucht uns und noch viele mehr davon. Die Lebensgrundlage ist doch für alle gleich, für Insekten, Pflanzen, Tiere, Menschen, Geister, und alle, die ich noch nicht kenne. Alle brauchen Boden, Wasser, Luft, Nahrung, Gemeinschaft, Frieden.

Und Frieden ist der Schlüssel für alles. Überall ist Krieg und Zerstörung, glaub ja nicht, dass nur ihr gemein und unfair, rücksichtslos und brutal seid, daher sind Friedensflieger auch unerlässlich und notwendig.

Wie willst du kleines Insekt für Frieden sorgen und dann auch noch für die ganze Welt, ist das nicht mindestens drei Nummern zu groß für dich?

Darüber denke ich nicht nach, ich mache einen Flügelschlag und noch einen und noch einen und fliege los, für den Frieden und erzähle jedem, ich bin ein Friedensflieger. Irgendwann sind dann alle Friedensflieger und die Welt ist gerettet. Und jetzt bist du dran. Du musst auch ein Friedensflieger sein.

Ich kann nicht mal fliegen, geschweige denn für den Frieden. Das ist mindestens 10, 100, 1000 Nummern zu groß für mich, tut mir leid.

Nein, das kann ich so nicht akzeptieren, Friedensflieger kann jeder sein, das ist keine Frage von Flügeln oder fliegen können, von klein oder groß sein, bedeutend oder unbedeutend. Jeder kann einen Beitrag leisten. Mach dir keine Gedanken über Sinn und Unsinn, ob du etwas erreichst oder nicht, mach einfach, sofort.

Eine zweite Libelle lässt sich auf meinem Handrücken nieder. Es sieht aus, als stecken sie die Köpfe zusammen, um sich zu beratschlagen oder neue Infos auszutauschen. Vermutlich auch ein Friedensflieger. Sie hat es eilig, fliegt weiter.

Die erste Libelle dreht ihren Kopf ein wenig, ihre Facettenaugen fixieren mich. Dann dreht sie ihre Flügel ein wenig und fliegt auch davon, weiter in die Welt, auf großer Mission.

Und ich mache einen Schritt und noch einen und noch einen und gehe los, für den Frieden und erzähle jedem, ich bin ein Friedensflieger, denn das ist keine Frage von Flügeln.

Freitag, 19. September 2025

Blognacht Vol. 60: Kurzweilig

kurzweilig
Eine kurze Weile 
Zeit, die kurz erscheint, angefüllt mit Inhalt, Leben, Musik

Ein Mann mit einer Mundharmonika, eine Frau mit Akkordeon und eine Frau mit Flöte. Gemeinsam musizieren. Verbindung über Töne, Melodien, Klänge, Akkorde. Aufeinander hören, im Einklang sein, gemeinsam etwas entstehen lassen. Die unterschiedlichen Instrumente bilden eine neue Klangqualität, die die einzelnen Musiker allein nie erzielen können. Verbindung, Erlebnis, sich in die Klangfarben der anderen hineinfallen zu lassen und gleichzeitig eine neue Klangkomponente beizutragen.

Oh Shennandoah, Shantychor, ein Vorspiel, alles still, nur eine Mundharmonika singt zart und leise mit jedem Ein- und Ausatmen, man lauscht andächtig, wird hineingezogen in die Melodie und verfolgt den Fluss in seinem bedächtigen Lauf, dann setzt der Chor ein.

Beethoven, 1. Klavierkonzert im Orchester, zum Abschluss des Schuljahres, die Aula bis zum letzten Platz gefüllt, das Stück ohnehin schon gewaltig aber dann noch der Einsatz eines heftigen Gewitters, der Himmel dunkel und drohend, grollender Donner und grelle Blitze, die fliegenden Hände der Pianistin, schneller und schneller, auf der Flucht, das Orchester in seiner ganzen Macht und Fülle, perfekte Symbiose.

Die erste Oper als Kind, gebannt das Stück auf der Bühne verfolgen, hören, sehen, fühlen, umtost von den Stimmen der Sänger und Sängerinnen, die Musik aus dem Orchestergraben, eingehüllt in Schall und Klang, mitgerissen in eine neue Welt, gefangen und gefesselt, unfähig Blick und Ohren abzuwenden, sie bricht über das Kind herein und lässt es nie wieder los.

Ich lausche - die Zeit verfliegt.

(Danke für den Schreibimpuls an Anna Koschinski von blognacht.de)