Mittwoch, 25. August 2010

Er hält sie für arrogant und reserviert, eine Großstädterin, die plötzlich das Landleben für sich entdeckt und völlig naiv und realitätsfern durch die nassen Weiden stolpert, dämlich.

"Und? Habt ihr das nicht auch gemerkt? Er kann wieder draußen rumlaufen, sensen und stundenlang kehren und schwadern, und warum? Na...?", Gelächter, "...man könnte ja der schönen Nachbarin begegnen."

Ihr ratloser, bestürzter Blick in die Runde der Freunde, die da so königlich über den Abwesenden ablästern, ein Kind ist sie, obwohl gleich alt wie er, ein Kind, das sich schuldig fühlt, wenn es Gefühle provoziert, die es nicht provozieren will.

"Sie führen ein merkwürdiges Leben, wenn ich das so sagen darf, junge Frau. Also ich könnte das nicht, so ganz allein." Ein alter Mann, der ihr von der Zweisamkeit mit seiner Frau erzählt und gleichzeitig wie zufällig nah an ihre Seite rückt, sie berührt.

Sie will sich sicher fühlen, glaubt, es hier auf dem Land einfacher zu haben, weniger Menschen, viel Platz, man kann sich aus dem Weg gehen, ordentliche Verhältnisse mit Ehemännern und Ehefrauen. Sie mag die Paare rundum, fühlt sich wohl in ihrer Gesellschaft.

Ich komme gut allein zurecht, ich kenne es nicht anders. Ich muss mich mit niemandem absprechen, was es zu essen gibt und wann, ob ich auf einem Fest eher früh gehe oder noch bleibe, wer für den Abwasch zuständig ist und wie die Wände gestrichen werden.

Vor einiger Zeit stürmt ein Mann mit riesigen Schritten auf sie zu, überrennt sie und ihren Hof völlig und plant wie selbstverständlich ihre gemeinsame Zukunft und die weiteren Renovierungs- und Umbaumaßnahmen ihres Hofes. Sie hätte sich vorstellen können, mit ihm zusammenzuarbeiten, vielleicht auch, dass sie sich mit der Zeit vertrauter werden und sich langsam so etwas wie Zuneigung und Vertrauen entwickelt, ein Missverständnis.

Sie ist für ihn ein Rätsel, gerade hat sie noch sorglos-unbekümmert mit den anderen gelacht, jetzt wirkt sie unnahbar, verschließt sich, zieht sich auf ihr arrogant wirkendes "starke-Frau-Image" zurück. Es verführt zu hinterhältig-fiese Bemerkungen und Anspielungen, die sie nicht versteht.

Vor einigen Jahren stolpert sie ständig über irgendwelche Männer, die ihr ihr Herz ausschütten, sie als geduldige Zuhörerin und Trösterin benutzen und dann plötzlich auch noch unbedingt mit ihr schlafen wollen. Sie hört zu, vielleicht weil sie sich danach sehnt, dass auch ihr jemand zuhört und sie als Mensch annimmt, ohne Hintergedanken und dieses langweilige Mann-Frau-Schema, ein Missverständnis.

Er nimmt die Hand seiner Frau, ein kurzer Seitenblick, gegenseitige Rückversicherung, wir gehören zusammen, normaler Alltag und doch etwas Besonderes für sie. Diese versteckten Gesten zufällig aufzuschnappen ist Glück und Unglück in einem, es zeigt ihr deutlich, was sie nicht kennt.

Vor einigen Jahrzehnten gibt es bereits diese Männer, die ganz "vernarrt" in sie sind. Schon wenn so einer ankommt ist sie wütend, will ihn wegstoßen und muss doch dableiben und ein "braves Mädchen" sein. Jedesmal wenn sie denkt, gleich explodier ich, kippt etwas in ihr und sie ist ein Automat. Sie sehen in dem kleinen Mädchen bereits die Frau, ein Missverständnis.

Er sieht ihre Anspannung und wundert sich. Sie ist schön, obwohl sie die Frau in sich gut versteckt und kontrolliert, sie wirkt stark und entschlossen, kämpferisch und mutig. Er hat sich blenden lassen. Sie macht ihm Angst, und er reagiert mit Hohn und Spott.

"Du bist die beste Medizin für den Alten! Ist sie nicht eine ganz besonders süße Maus, unsere schöne Nachbarin?" Er rückt näher, legt den Arm um sie und zieht sie heran. "Ich muss jetzt gehn, ist spät geworden." Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, nie wieder ein Automat - lieber allein.

Im Rausgehen fängt sie seinen Blick auf, ratlos, bestürzt.