Samstag, 20. November 2010

Jagd

Die beiden Stuten stehen direkt am Zaun, die ältere etwas weiter vorn, beide starr, angespannt, hochkonzentriert. Sie sehen über die weite Ebene, die im diesigen Grau des Novembernachmittags liegt. Querfeldein laufen die Jäger in ihren grün-braunen Kleidern, den knall-orangenen Westen, Gummistiefel bis an die Knie, Gewehr nachlässig in der Hand. Sie ducken sich unter den Weidedrähten durch, überspringen die Gräben, die jetzt nach den zahlreichen Regentagen randvoll gefüllt sind, verteilen sich über die Weiden. Hundegebell, Zurufe, hin und wieder ein Schuss, aufgeregtes Flattern, Gezeter der Fasane. Langsam kommen sie näher, ziehen in einiger Entfernung am Hof vorbei, routiniert und ruhig, wie in jedem Jahr.

Die Leitstute stampft mit dem Huf, wirft den Kopf ruckartig nach oben, nickt ein paarmal kurz hintereinander. Ein Fasan huscht unter der Hecke hindurch in den Garten, duckt sich ganz flach zwischen die langen Brennesselstengel, verschmilzt mit dem Boden. Die Hunde stöbern kreuz und quer über die Weide, aufgeregt-hektisch, verfolgen Hasen. Die neblige Luft lässt die Schüsse dumpf und gespenstisch klingen, die Rufe und das Lachen jedoch klirrt hell dazwischen.

Am anderen Ende der Weiden ist der Feldweg zu sehen, Autos stehen bereit, die älteren Jäger. Eingekesselte Tiere, keine Fluchtmöglichkeit, Hunde apportieren die Beute, werden gelobt und gestreichelt, springen schwanzwedelnd hoch, den Blutgeruch noch in der Nase. Die beiden Stuten wenden sich ab.

Donnerstag, 4. November 2010

Hallo lieber Hans,

trotz meines Alters habe ich keine Ahnung von der Liebe, es gab bisher keine Gelegenheit. Da Du ja ein verheirateter Mann bist, möchte ich Dich daher etwas fragen und hoffe, es ist nicht zu indiskret:

Woran merkt man, dass man verliebt ist?
Woher wusstest Du, dass Deine Frau die Richtige ist?
Wie fühlt es sich an zu lieben und geliebt zu werden?

Wir sind jetzt schon eine ganze Weile miteinander befreundet, daher erlaube ich mir überhaupt diese Offenheit und vertraue darauf, dass Du mir meine Naivität nicht allzu übelnimmst.

Es gibt Tage da denke ich bei jeder Gelegenheit an Dich.
Manchmal wünsche ich mir, Du würdest wieder vor meiner Tür stehen und lächeln.
Dann erinnere ich mich daran, wie gut wir zusammengearbeitet haben.

In Deiner Gegenwart fühle ich ein leichtes Kitzeln im Magen, eine Leichtigkeit, die aufsteigt wie die Bläschen in der Wasserflasche. Ich sehe Dich an, freue mich, dass Du da bist und möchte für immer an Deiner Seite bleiben. Sich wohlfühlen in der Gegenwart des Anderen, den Alltag miteinander teilen können und ihm den Glanz des Besonderen verleihen, das kannte ich bisher nicht.

Wenn ich Dich mit Deiner Frau zusammen sehe weiß ich jedoch, dass ich von dieser Gegenseitigkeit kilometerweit entfernt bin. Es genügt ein Blick und Du weißt, eine winzige Geste und ihr seid miteinander verbunden, unabhängig vom Rest der Welt. Ein Magnetfeld umspannt Euch beide, Du der Nord- und sie der Südpol, jeder weitere Magnet kann nur stören.

Alles Gute Euch beiden.
Bleib mein Freund.

Iris