Dienstag, 14. August 2012

Tanz mit mir

"Das war schön, danke", sie lächelt ihn an, dann trennen sich ihre Hände voneinander, ihre Körper schaffen Distanz. Jetzt können sie sich der Freundesgruppe anschließen, lachen, reden, trinken und feiern - neutral und unverbindlich, zwei Freunde.

"Sie tanzt gern", er sieht seinen Bruder von der Seite an und kann nicht verhindern, dass er anfängt zu schwitzen. Wieso hat er das gemacht, er hätte sich denken können, dass es Anspielungen gibt, und ausgerechnet am Hochzeitstag, so viele Gäste als Augenzeugen.

"Er hatte getrunken", sie vermeidet es, zu ihrer Schwester hinüber zu sehen, konzentriert sich auf den Teig und spürt gleichzeitig die Hitze im Gesicht. Tanzen, mit ihm eine Einheit zur Musik bilden, seine Nähe spüren, aufregende Nähe, gefährliche Nähe.

"So soll sie auch mit mir tanzen", der Nachbar sieht den beiden zu. Wie hat er um sie geworben, mit ihr getanzt und sich Hoffnungen gemacht. Zerschellt, denn blind ist er nicht, dieser Tanz hier hat eine völlig andere Qualität.

"Ich erkenne ihn nicht wieder", seine Frau ist bestürzt, am liebsten würde sie wegschauen, doch obwohl es ihr das Herz bricht, ist sie gebannt. Jemand reicht ihr einen Drink und verwickelt sie in ein Gespräch, sie kann nicht recht folgen, ist aber dankbar dafür.

"Ich bin dein Bruder, mir musst du nichts vormachen", er will ihm helfen, sieht er doch oft vieles früher, und auch das hat er zielsicher vorausgeahnt. Hätte er doch mit dem Nachbarn gewettet, eindeutiger kann man gar nicht gewinnen.

"Ist dir eigentlich klar, was du angerichtet hast?" sie versteht ihre Schwester nicht: Immer so unnahbar und distanziert, stets sich und ihre Gefühle unter Kontrolle, und dann schlägt sie von einer Sekunde zur anderen sämtliche Regeln und Konventionen in den Wind und landet im Chaos, garantiert.

"Das war ein Ausrutscher, was ist schon dabei, wir haben zusammen getanzt, na und?" er liebt seine Frau und will ihr nicht wehtun, er macht sich Vorwürfe, er hat nicht nachgedacht. Er wollte mit ihr tanzen, schon als sie sich kennenlernten.

"Das ist das Beste was ich bekommen kann, wir haben zusammen getanzt, es war schön", sie ist realistisch genug und weiß, dass es vermutlich ein Versehen war. Freunde  sein wird reichen, das weiß sie seit ihrer ersten Begegnung.

"Mann, komm schon, du bist verliebt", er sieht seinen Bruder feixen, weiß dass er recht hat und würde sich doch lieber die Zunge abbeißen als zuzustimmen.

"Sei wenigstens mir gegenüber ehrlich und gib zu, dass du ihn mehr als nur 'gernhast' ", sie beißt sich auf die Lippe, die Schwester hat recht, doch das darf nicht sein.

"Ich musste dich sehen", er lächelt sie an. Sie hat Äpfel gepflückt, jetzt steigt sie von der Leiter und gibt ihm einen davon. Ihre Hände finden zueinander, ihre Körper rücken näher, sie sehen sich an - schon viel zu lange.